Zum Inhalt springen →

Endlich volljährig

Ein Schrei schallt durch den kleinen Ort: „Nicht so schnell!!!“ Erschrocken dreht sich der soeben angekommende Tuchhändler um. Einige Hühner kommen aufgescheucht um eine Häuser-Ecke geflattert, dicht gefolgt von ein paar nicht minder erregten Gänsen. Auch eine Ziege nimmt reißaus, rennt beinahe gegen den Karren des Händlers, schlägt noch einen Haken und verschwindet hinter der nächsten Ecke.

Der Händler schaut den Tieren verstört hinterher. Im Hintergrund sind ein lautes Gerumpel sowie weitere aufgeregte Tiere und Menschen zu hören.

Im Haus am Rande des Marktplatzes schaut eine Frau aus dem Fenster. Auch sie wirkt etwas verstört und nimmt den Händler gar nicht wahr.

„Maria, was ist hier los?“ ruft der Händler zu ihr hinüber. Sie schaut in seine Richtung. „Oh, hallo Matthias.“ Sie lächelt kurz. „Ich weiß es nicht, aber ich ahne nichts gutes.“ Sprichts und verschwindet im Haus, um kurz darauf aus der Haustür zu stürzen.

Im selben Augenblick kommt eine panische Schafherde um die Hausecke gerannt. Maria kann sich gerad noch rechtzeitig zurück in die Haustür retten, während Matthias Schutz hinter seinem Karren sucht. Während bereits einige Schafe an ihm vorbei sind, geht plötzlich ein kräftiger Ruck durch seinen voll beladenen Markt-Karren und mehrere Tuchballen fallen dem im Staub kauernden Händler auf den Kopf.

Ängstlich schaut Matthias auf seinen Karren, der bedrohlich schwankt. Im Augenwinkel nimmt er ein Schaf war, welches leicht benommen an ihm vorbei torkelt. Ein weiteres, weitaus heftigeres Beben geht durch den Wagen. Mit einem heiseren Schrei springt der Händler zur Seite – keinen Augenblick zu spät, denn der komplette Karren stürzt auf die Seite. Auf der anderen Seite des Karrens liegt ein kapitaler Schafsbock auf dem Boden und rührt sich nicht mehr.

Kaum ist die Herde panischer Schafe vorbei, kommt ein Hirte hinter ihnen hergelaufen. Beim Anblick des umgestürzten Karrens stockt er kurz, läuft dann aber weiter seiner Herde nach.

Maria läuft zum verzweifelten, am Boden liegenden Händler und hilft ihm auf. „Das tut mir so schrecklich leid, Matthias“, stammelt sie. „Ach, du kannst doch nichts dafür“, antwortet er und versucht trotz des in den Knochen sitzenden Schrecks ein Lächeln aufzusetzen. „Das kann passieren mit den Tieren.“

Maria schaut ihn etwas verlegen an. „Wenn du wüsstest…“ Bevor sie mehr sagen kann, kündigt ein lauter werdendes Rumpeln weiteres Ungemach an. Ein letztes panisches Huhn kommt flatternd um die Ecke, läuft gackernd am sich wieder aufrichtenden Schafs-Bock vorbei und verschwindet in einem Hauseingang.

Mit einem lauten „Iii-Aaah!“ kommt ein Esel um die Hausecke gallopiert. Er zieht einen schlingernden Wagen, auf dem sich mit panischem Blick ein Mann versucht festzuhalten. „Langsamer!!!!“ kreischt er den neben ihm sitzenden jungen Mann an, der die Zügel des armen Huftieres fest in Händen hält und es zu weiteren Höchstgeschwindigkeiten antreibt.

Das Fuhrwerk rutscht seitlich über den staubigen Platz, touchiert kurz den noch auf der Seite liegenden Händlerkarren, wodurch dieser ein Stück weiter an die nächste Hauswand geschoben wird und rast dann geradeaus weiter.

Matthias schaut dem Gespann entgeistert hinterher. „War das…“, setzt er an, muss aber vom aufgewirbelten Staub husten. Als er sich wieder gefangen hat blickt er fassungslos Maria an. „War das nicht gerad…“ , versucht er es erneut. Doch Maria unterbricht ihn direkt, während sie die im Staub liegenden Stoffballen aufsammelt: „Ja, er war es wirklich. Er ist vor drei Tagen volljährig* geworden und jetzt darf er selber fahren. Mein Mann wollte ihn aber nicht alleine mit seinem Wagen fahren lassen.“

Und während sich der Staub langsam legt und sich der Schafs-Bock noch wundert, warum er auf dem Marktplatz ist und wie er dorthin gekommen ist, kehrt langsam wieder Ruhe im beschaulichen Nazareth ein, an diesem sonst eher ruhigen 27. Dezember vor exakt 2000 Jahren.


*) Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob der 18. Geburstag damals im beschaulichen Galiläa irgendein wichtiger Geburtstag im Leben eines Juden gewesen ist. Aber da dies hier keine wissenschaftliche Abhandlung ist, sondern ein Blog-Beitrag, der unterhalten will, ist mir das egal.

Veröffentlicht in Steinschlag

Bildquellen

  • Tachometer: MichaelGaida / Pixabay.com

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert